Die Ideen
Immer wieder werde ich
gefragt, warum ich denn ein solches Abenteuer wagte und zum Schreibritt durch
Deutschland aufbrach. Auf diese Frage gibt es keine kurze oder einfache Antwort.
Die wichtigsten Motive, denen ich auf der Reise nachging kann ich hier beschreiben.
Zu reisen heißt, sich dem Fremden auszusetzen. Es heißt,
unbekannten Menschen, Orten und Landschaften zu begegnen und auf Hilfe und Gastfreundschaft
angewiesen zu sein. Reisende sind Suchende, die mit der geschärften Wahrnehmung
der Ankommenden die Eigenarten solcher Begegnungen sammeln wie Schätze.
Mit einem Pferd einen Weg zurückzulegen bedeutet allein zu reisen,
ohne einsam zu sein. Ein Pferd ist ein Reisebegleiter. Während das Pferd
das Gewicht des Reiters oder dessen Gepäck trägt, liegt die Verantwortung
für sich und das Pferd beim Menschen. Die Sorge für sich selbst und
das Pferd macht die Kontaktaufnahme unterwegs zu anderen Menschen notwendig.
Mit Pferd ist man bei der Suche nach geeigneten Quartieren, Futter oder Hufschmieden
stärker auf Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft angewiesen, als allein.
Durch das eigene Land zu reisen heißt, sich auf die Suche nach
der eigenen Heimat zu machen. Es heißt, die Sprache der Menschen, denen
man begegnet, zu verstehen und mit der Entwicklung und Geschichte des Landes
vertraut zu werden. Es heißt, das Bekannte neu zu entdecken und den Blick
zu schärfen für Eigenheiten, Details und Unterschiede der Menschen
in unterschiedlichen Landstrichen.
Fremdenfreundlichkeit, Hilfsbereitschaft, Gastfreundschaft sind Eigenschaften,
die man uns Deutschen nicht unbedingt nachsagt. Als Wanderreiterin werde ich
unterwegs Wasser, Rastplätze und Nachtquartiere brauchen und immer wieder
Informationen. Ich bin sicher, dass die Deutschen wesentlich tatkräftiger
sind als ihr Ruf.
Wanderreiter sind Menschen, die ihr Pferd als Partner verstehen und mit
einem hohen Verantwortungsgefühl für Naturschutz und den Partner Pferd
unterwegs sind. Selten habe ich eine Gemeinschaft von Individualisten erlebt,
die sich untereinander so unbekümmert hilft und unterstützt. Vielleicht
ist auch darum das Image von Wanderreitern so gut, weil die bescheidene Art,
umsichtig mit wenig Gepäck unterwegs zu sein, eine Sehnsucht in vielen
Menschen freisetzt. Wanderreiter sind fast überall Menschen, die man mit
einem aufmerksamen Kopfnicken grüßt, wenn sie vorüberziehen
oder aber fragt, woher sie kommen und wohin sie gehen.
Der Zufall ist ein wichtiger Bestandteil beim Finden von Geschichten.
Niemand weiß im Voraus, wem er begegnet. Reisebegegnungen sind nicht planbar.
Sie werden aber ermöglicht durch den eigenen Aufbruch und die positive
Eigenschaft der Neugier.
Reisebegegnungen zu sammeln heißt, auf der Suche zu sein nach Menschen
und Orten. Der Mut, aufzubrechen, eigene Wege zu gehen und die Welt zu erkunden,
wirkt ansteckend und bringt Menschen dazu, intensiver zu erzählen und ungewöhnliche
Einblicke in ihr Leben zuzulassen. Wie ein Mensch einer Durchreisenden begegnet,
ihr Auskunft gibt, sie aufnimmt oder welche Geschichten man einer Fremden erzählt,
sagt etwas aus. Es gibt regional unterschiedliche Umgangsformen für Gastfreundschaft,
Hilfsbereitschaft und Auskunftsbereitschaft, die als „typisch" gelten können.
Auch besonders außergewöhnliche Menschen in ihrer Alltagswelt aufzuspüren,
um vielleicht etwas über ihre persönlichen Eigenheiten, Werte oder
Lebensgeschichten zu erfahren, ist Ziel der Reise.
Zu schreiben heißt, Leben festzuhalten und zu verdichten, so dass
es für andere wiedererlebbar wird.